Ekkehart Krippendorff - political scientist


"the representation of non visible but real images of power have an aesthetic quality"
(links for Ekkehart Krippendorff)

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Herr Krippendorff, Sie sind Politikwissenschaftler. Was für einen Stellenwert nehmen Bilder für Sie beruflich ein ?
political sciences have not cared systematically about images
Die Politikwissenschaft hat sich für Bilder eigentlich nie interessiert. Ich habe für meine Zwecke Bilder immer in meine Lehren einbezogen in Form von bildender Kunst. Ich hatte das Glück, hier in Berlin, also in Dahlem, mein Institut zu haben und da bin ich regelmäßig einmal im Jahr, manchmal einmal im Semester mit meinen Studenten ins Dahlemer Museum gegangen, das damals noch da draußen war - also jetzt nicht in der Nationalgalerie - und habe mit denen Bilder angeschaut, was die uns gesellschaftlich, politisch sagen. Bilder in ihrer Symbolkraft, aber auch politische Portraits, Portraits von Karl V oder den großen van Dycks etc. Insofern habe ich da versucht, Bildmaterial mit einzubeziehen, weil es ja in vieler Hinsicht eine vielsprechende Vergegenständlichung des abstrakten Prozesses ist. Ein gut gemaltes Portrait ersetzt eben ein gutes Buch unter Umständen. Es gibt eine eine sehr einfache, eigentlich furchtbare Fotografie von 1915 des österreichischen Außenministers Graf Berchtold. Der steht in seiner Uniform mit seinem Säbel da, was Karl Kraus kommentiert, wenn Sie dieses Bild anschauen, verstehen Sie, warum Österreich in diesen idiotischen Krieg gezogen ist. Also, wie gesagt, dieses Bild ersetzt die Lektüre von soviel Texten. Wenn Sie es richtig sehen oder wenn ein Bild gut gemacht ist, wenn man sich darauf einläßt, spricht das ja eine Körpersprache: Wie wollen die Leute dargestellt werden und wie werden sie dargestellt.. Ein guter Portraitkünstler sieht das noch viel deutlicher, er möchte sich gerne königlich dargestellt sehen und dann macht ein Velasquez etwas ganz anderes daraus. Insofern hat man man sich in der Politikwissenschaft um eine Bildkenntnis, eine Bildlesefähigkeit eigentlich nicht gekümmert hat, es ist ein offenes Thema, ein offenes Feld, das sehr viel mehr systematisch bearbeitet werden müßte.
Ihr Buch "Kritik der Außenpolitik" ist maßgeblich auch eine Art Bildkritik. Die Themen einer modernen Außenpolitik machen Sie an einer bildpolitischen Wende fest und zwar an der Abstrahierung von komplexen politischen Gefügen in Form einer Landkarte. Woran unterscheiden sich die Karten der frühen Neuzeit, woran Sie eben halt die Beispiele festmachen, von vorherigem kartographischem Material?

Tabula Peutingeriana

the Roman impire as a rhizome of military roadmaps

Frühe Neuzeit nennen wir dann in diesem Fall 15. Jahrhundert, die so genannte Zeit der Entdeckungen, in der zum ersten Mal ja eben auch der Globus kartographisch thematisiert wurden. Wenn Sie frühere Karten nehmen, es gibt z.B. einen berühmten Kodex mit der einzigsten überlebenden römischen Straßenkarte, so sind diese römischen Straßenkarten ja sehr genau gewesen. Aber sie zeigen nur die Straße und wo es abgeht, rechts oder links und wo Berge sind. Die römische Weltkarte ist sozusagen reduziert auf große Marschstrecken. Die haben nicht Gallien kartographiert, sondern nur den Weg von Süden nach Norden, das alles aufgenommen und dann als Band gemalt. Die römischen Landkarten, mit denen sie ein Imperium zusammengehalten haben, waren lauter Bänder, Bänder von Heerstraßen. Dies reflektiert eine andere Form von Herrschaft und eine andere Beziehung zum Territorium. Das heißt, hier werden die Landschaften, die da erschlossen werden, von vornherein strategisch gewissermaßen durchformuliert.

In der frühen Neuzeit mischen sich jetzt zwei Sachen: es kommt die nennen wir es mal wissenschaftliche Neugier hinzu, d.h. das Abbild, das reale Abbild einer realen Welt, was eben nicht der Plan der römischen Weltkarten war und das zweite ist, daß das reale Abbilden von Welt gleichzeitig für den Benutzer, als Globus, als Ganzes verfügbar wurde. Diese frühen Karten waren immer zugleich Weltkarten. Die damals noch vier Erdteile, die in der Malerei an den Deckengemälden dargestellt wurden, repräsentierten das Ganze. Von daher bildete sich dann auch herrschaftspolitisch ein ganz anderes Weltbild ab, was in der „Kritik der Außenpolitik“ versucht habe, etwas zugespitzt darzustellen. Durch diese Verfügbarkeit eines Weltbildes konnte man dann eben auch die Welt aufteilen. Eine Operation, wie des damaligen Papstes, eine Linie zu ziehen und zu sagen, das eine gehört Habsburg, das andere gehört Frankreich, das wäre für die römische Kartographie gar nicht möglich gewesen. Auf einmal war die Welt verfügbar. Wenn Sie die heutige Karte von Afrika anschauen,, so sind die Grenzziehungen eine kartographische Übungen gewesen. Da hat jemand den Kontinent in seinen Umrissen gehabt, dann haben Sie mit einem Lineal eingezeichnet, was französisch, englisch oder belgisch etc. ist. So sind die Grenzen zustande gekommen, die bis heute nicht zufällig deswegen umstritten sind bzw. umkämpft sind. Sie habe zu großen Konflikten geführt, weil es ein solch abstraktes Bild von Welt war, das man auf so eine kartographische Geometrie brachte.

Ihre Kritik setzt bei der Formalisierung von Weltwirklichkeit an, einem Weltbild, sprich der Weltkarte. Kritisieren Sie mehr den kartographischen Formalisierungsprozess an sich oder nicht viel mehr den Umgang damit?
new exploration always had been scientific expeditions Das läuft parallel. Wenn Sie sich die großen englischen Forschungsreisen des 17. und des 18. Jahrhunderts anschauen, da waren immer Wissenschafter dabei. Neben Kartographen, die wußten, wie man das neu entdeckte Land vermißt und aufnimmt, waren auch Botaniker, Zoologen, Historiker, zum Teil Ethnologen in ihrer frühen Form dabei. Die Neuentdeckung waren immer auch wissenschaftliche Expeditionen. Hinter der Neuentdeckung stand aber das kolonialisierende Interesse. Die Herrschenden und Regierenden, die diese Expeditionen ausgerichtet haben, haben sich nicht für die Wissenschaft interessiert, sondern nur insofern, als sie dazu zum eigenen Wohlstand beiträgt, wie z.B., exotische Früchte zu finden, um sie zu Hause anzubauen. All unsere botanischen Gärten gehen auf diese Kolonialzeit zurück. Man wollte neue Pflanzen entdecken, um damit die Wirtschaft sozusagen anzukurbeln.
Sie beschreiben die Landkarte auch als ein telematisches Instrument. Der Staatsführer muß nicht mehr selber seine Pfalzen bereisen, sondern lenkt mittels Karten seinen Staat aus der Ferne. An diesem kartographischen Wandel machen Sie deshalb auch das Entstehen des Nationalstaats fest.
the nation as a birth of cartography


cold war map of 1982

Vereinfacht gesagt ist der Nationalstaat unter anderem eine Geburt aus der Kartographie. Es ist vereinfachend in dem Sinne, wenn Sie hier über die Straßen laufen, ist Ihnen ja ganz egal, zu welchem Bezirk das gehört. Aber, wenn ich mir jetzt eine Karte von Berlin besorge, dann sage ich auf einmal, dieser Bezirk hat ja hier so eine komische Kurve, das ist doch Unsinn, das könnten wir doch eigentlich zusammenfassen. Diese Art der abstrakten Weltsicht setzt sich dann um in konkrete Politik. Es hat in der Vergangenheit tatsächlich solche Konflikte gegeben. Neulich las ich eine Geschichte über den U-Bahnhof Tempelhof, Platz der Luftbrücke, der früher Kreuzberg hieß. Der ist deswegen so komisch gebaut, weil sich Kreuzberg und Tempelhof nicht einigen konnten über kartographische Grenzen. Deshalb ist da so ein komischer Maulwurfsgang da unten draus geworden.
Der Nationalstaat ist in der Tat so entstanden, daß man sozusagen Deutschland als Gesprenkel um 1848 oder 1750 rum in die Köpfe reingebracht hat, obwohl, die Leute sich ja nicht als versprenkelt erleben, sondern in ihren Kiezen leben. Aber da kam jemand von oben und sagt, das gehört doch zusammen, wenn das hier ein bißchen preußisch ist und das hier preußisch, dann legen wir das doch zusammen. Diese Art Umsetzung von Abstraktion in eine konkrete Politik, die kann man an diesem deutschen Nationalstaat, der meinte zusammenhängende Territorien zu brauchen, deutlich studieren. Wenn Sie sich die berühmten politischen Karten des frühen 20. Jahrhunderts anschauen, da hatte ja jeder Erdteil, jedes Land seine bestimmte Farbe. England war rosa, Deutschland war blau.
In den Zeiten des Kalten Krieges, als die Weltkarte zweigeteilt war, gab es die Nato-Karten, wo die Welt gleich nur noch in rot und blau aufgeteilt war. Blau sind unsere und rot sind die anderen und zwischendurch gibt es noch ein paar schraffierte, das sind noch nicht unsere oder noch nicht deren, wie z.B. Afrika. Diese Reduktion von Komplexität auf das rot und blau als Weltphänomen kann man in diesen Nato Karten wunderbar nachvollziehen.
Wie sehen Sie denn das moderne Verhältnis von Politik und Militär auch wiederum unter diesem kartographischen Aspekt, ein Politiker beugt sich über die abstrakte Weltkarte und auf der anderen Seite arbeitet das Militär mit der topographischen Karte, die immer und immer genauer wird?

domino doctrine as further pictorial abstraction of politics


Stalingrad: the "pocket" battle as furhter metaphor

Da laufen ja die Politik und das Militär an diesem Punkt zusammen. Das dramatische Beispiel für unsere eigene deutsche Geschichte ist ganz sicherlich Hitler, der gleichzeitig der Führer des Deutschen Reiches war und des Deutschen Reiches oberster Feldherr. Die Bilder, in denen er sich am liebsten sah, waren die, wo er über die Karten gebeugt stand und sagte, „dieser oder dieser Platz darf nicht geräumt werden bis zum letzten Atem.“ So hat er Stalingrad eingenommen, weil er gesagt hat, „da will ich hin“, nicht nur symbolisch, weil es Stalingrad hieß. Hitler kannte das nie aus der empirischen Anschauung. Hitler wollte sicherlich nie die konkrete Topographie sehen und ist ja dann entsprechend da reingefallen: diese großen Räume und dann kommt ja auch noch das Klimatische dazu, was man ebenfalls nicht berücksichtigt hatte.

Die USA hatten ja ebenfalls keine Ahnung von Vietnam, das war auch nur so ein Platz auf der Karte. Aber was da für Menschen lebten, was da für eine Kultur war und daß es da Dschungel gibt, da hatten sie überhaupt keine Ahnung und sind deshalb völlig falsch vorbereitet da rein gegangen. Vietnam war eine rein abstrakte Größe. Da gibt es doch dieses schöne Bild, was der Eisenhower benutzt hat, als das Vietnam Engagement anfing: der Dominostein. Er sagte, wenn wir diesen Vietnam verlieren, dann kippt ein Dominostein, der wiederum einen weiteren umkippt, was schließlich an der Küste von Texas endet. Erst war es Indonesien, dann kommt Vietnam, China, Vietnam, von Vietnam springt es rüber, dann kommt es zu den Philippinen, dann Japan, dann Philippinen usw. So wurde die Welt zu einem Domino-Spiel gemacht. Es ist zwar ein abstraktes Bild, aber sie haben damit Politik gemacht, sie haben den Menschen erzählt, das ist der Dominostein, den müssen wir halten.
Im Zweifelsfall könnte man sagen, daß in mancher Hinsicht das Militär realistischer ist, weil sie ja die Sachen dann auch am Boden durchkämpfen müssen. Das kartographische Bild muß man da erweitern oder vertiefen, um soziale und kulturelle Faktoren. Was überhaupt nicht erscheint, sind die Kulturen und die Menschen, die dort leben und auf die kommt es aber dann letztlich ja an. Es ist eine Sache, Bagdad zu erobern, aber die Millionen von Menschen, die da leben, sind eine andere Sache. Diese Konflikte erscheinen vorab eben auf keiner Karte.
Es gibt ferner eine wichtige Metapher, die der Heiner Müller benutzt hat, um zu erklären, was da damals im so genannten Russlandfeldzug passierte und zwar den Raum als einen gewaltigen Kessel zu sehen, in dem man Zangenbewegungen macht und die Leute versucht einzuklammern. Es sind ja dauernd Kesselschlachten geführt worden und die sind auch eine solche Form der Abstraktion. Die Karte wird zu einer geometrischen Vorlage. Umfassungsbewegungen, Einkesseln. Der Kessel von Stalingrad, das war ja nur einer von vielen. Die Deutschen habe es ja vorexerziert. Die Kesselschlacht unterscheidet sich ja völlig von dem, wieman im Westen, im ersten Weltkrieg aber auch im zweiten Weltkrieg vorging. Das mag darin auch gelegen haben, daß Frankreich vetrauter war. Von Russland kannte man, bis auf wenige Leute, nichts: In der Vorstellung war es eine riesige glatte Fläche bis zum Ural. Man hat also in Russland nie wie an der Westfront geplant. Es war vor aber vor allem ein Vernichtungskrieg, Kesselschlacht heißt vernichten.

Wenn man von der Geschichte von Bildern spricht, so denkt man meist and Produkte der Kunst und nicht an Karten. Wie sehen Sie eigentlich das Verhältnis zwischen diesen unterschiedlichen Formen der Bildherstellung, also Kunst und Kartographie?
the representation of non visible but real images of power have an aesthetic quality Nun, einmal, die frühen Karten wurden ja auch zu kleinen Kunstwerken, sie waren handwerklich gut gemacht. Das geht bis heute, in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst habe ich kürzlich eine Arbeit gesehen, die versucht, weltweite Herrschaftsverhältnisse, Vernetzungen von Herrschaft graphisch darzustellen - also Verbindungen und Vernetzungen von Banken und Politik und Militär. Der Künstler hat immer so schöne Linien gezogen und die Knotenpunkte und so ergaben eine Abbildung von Strukturen, was für sich auch ohne den Hintergrund eine eine faszinierende ästhetische Produktion darstellte. Für diese Arbeit haben sich dann Politiker und sogar Geheimdienste interessiert , weil Sachen herausgekriegt auf ästhetischem Wege herausgebracht hat, die wir politisch gar nicht kapiert haben. Die Abbildung von nicht sichtbaren aber sehr realen im weitesten Sinne Herrschaftsbildern hat ästhetische Qualität.
Eine Art Diagramm?
diagrammatic artwork that is even interesting for intelligence agencies Genau, ein Diagramm, das dann selber wirksam wird, so daß in diesem Fall die Geheimdienste gekommen sind, um da weiter zu spüren und Beziehungen herzustellen, die sie nicht kapiert haben. Es ist eine faszinierende Geschichte.
Ich möchte trotzdem noch mal versuchen, da ein wenig zu polarisieren zwischen Kartographie und Kunst. Schließlich findet man in der Kartographie mit dem Atlas das wissenschaftliche Grundprogramm angelegt, verallgemeinerbare Züge zu finden.
the unveiling function of art


Leopold Graf Berchtold

Der Kartograph hat ein identifizierbares formulierbares Erkenntnisinteresse. Das Erkenntnisinteresse der Kunst kann man schwer in Worte fassen und ist auch nicht in Worte zu fassen, sonst würden Sie das auch in Worte fassen und würden es nicht in Form von ästhetischen Konstrukten produzieren. Es ist eine andere Sprache, aber hinter der anderen Sprache steht in der Tat ein anderes Erkenntnisinteresse, was kein herrschaftliches ist, sondern sich an dem Erhabenen, an dem Sichtbarmachen von Unsichtbarem orientiert und nicht an Manipulierbarem, Aussetzbarem, Umsetzbarem.
Ich würde eine deutliche Unterscheidung treffen wollen zwischen diesen beiden Zugängen. Das künstlerische Interesse ist eigentlich weniger, die Herrschaft kritisch darzustellen, als vielmehr genau hinzugucken. Ein Portraitierter hat so Wahrheiten über sich freigegeben, was er vielleicht gar nicht wollte. Das kann Kunst! Das haben die Auftraggeber selber wohl nicht so gesehen. Aber wenn wir heute z.B. das zitierte Bild vom Grafen Berchtold anschauen, dann gibt diese Fotografie etwas von sich preis, was die Kamera in diesem Fall gesehen hat und was wir sehen und was er gar nicht wollte, daß wir es sehen. Insofern hat da die Kunst eine enthüllende Funktion aber es ist eine ganz andere als die der Kartographie, die ein wissenschaftliches Interesse hatte.
Stefan Jonsson, auf den sie sich beziehen, kommt zu einem bemerkenswerten Schluß in der Auseinandersetzung vor allem mit einer frühen spanisch-mexikanischen Karte. Die Kartographie ist für ihn der Anlaß, das klassische epistemologische Ideal in Frage zu stellen und eine Art performative Epistemologie vorzuschlagen. In der Karte sieht er realisiert, daß wissenschaftliche Erkenntnis eigentlich das Schaffen von Neuem ist, das sie eher eine Art Konstruktion ist, die sich ständig fortschreibt.
Das war auch die einzige Arbeit, die ich gefunden habe. Ich habe nicht systematisch recherchiert. Ich fand sie sehr ungewöhnlich, faszinierend.
Hat für Sie das Internet Ihren Umgang und Ihre Vorstellung von Bildlichkeit verändert ?
internet seldom used Nein, da ich das Internet fast nicht benutze.
Inwiefern hat die Luftfahrt unser Weltbild verändert ? Vormals haben wir ja virtuell die Erdoberfläche von oben betrachtet und nun kann das jeder, der nach Mallorca fliegt?
Ich glaube nicht, daß das für die Menschen und deren empirisches Verhalten in einer Landschaft in irgendeiner Form von Bedeutung geworden ist oder gewesen ist. Allenfalls in der ökologischen Problematik, z.B. Bilder über die Zerstörung der Ozonschicht. Die dramatischen Bilder können einen Erkenntnisschock bewirken. Das ist für unser Auge nicht wahrnehmbar, aber für das Auge der Kamera in der Weltraumfotografie ist das nachvollziehbar. Ferner gibt es auch eine Reihe nachvollziehbarer Fotografien, die auch für Plakate benutzt worden, die auf die Kleinheit unserer Welt hinweisen: die Welt vom Mond aus gesehen, klein und verwundbar. Das kann man in der Tat abbilden, mit etwas interpretatorischer Hilfe kann man dann das auch sehen.
Ein anderes sichtbares Beispiel wären die abgebrannten Wälder des Amazonas. Das ist viel dramatischer als wenn man nur darüber in der Zeitung halt liest. Das kann in Grenzen das Weltbild verändern. Aber sonst glaube ich, daß die Luftfotografie in der realen Erfahrungswelt der Menschen wenig verändert hat.
Trauen Sie Bildern ?
I do trust historical photographies


"The Göhrings' housemaids and children" (about 1909) www.bmpix.org

Das kommt drauf an, im Prinzip nicht. Bilder, die Vorgänge darstellen und die gemacht worden sind, um eine bestimmte Situation zu illustrieren, den würde ich also nie trauen. Ich traue sehr immer auf so einer Meta-Ebene historischen Fotografien, weil sie nicht für einen Markt gemacht worden sind, sondern für Forschungsinteresse, z.B. dem ethnologischen Bildmaterial Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Aufnahmen in den von Europa entdeckten Gebieten verraten eigentlich viel über die Gesellschaft und über unser Auge, das wir auf diese Gesellschaften werfen, mehr als es damals beabsichtigt war. Aber das waren in der Regel auch sehr bewußt gemachte Fotografien, die auch wirklich gestellt waren, so daß das Stellen in einem Bild auch offensichtlich gestellt ist. Z.B. die Aufnahme einer afrikanischen Safari, wo wir drei oder vier Schwarze sehen und der weiße Herr mit dem geschossenen Büffel sagt ja mehr über Kolonialismus aus als viele lange gescheite Bilder. Das sind bewußt gestellte Bilder und keine Schnappschüsse gewesen sind.
Dennoch muß man bei Bildern sehr, sehr vorsichtig sein.
Musik ist eine Kunstform, die den den Weltbezug äußerst reduziert und die sich so frei von Bedeutung macht. Ähnliches passiert ja auch bei abstrakten Bildern. Wie sehen Sie das Verhältnis von Bild und Musik?

Arnold Schönberg: selfportrait (not dated)
Es ist offensichtlich ein sehr komplexes Verhältnis und es gibt immer wieder und wird weiterhin geben Versuche, Musik auch abzubilden. Die berühmtesten sind Kandinsky natürlich gewesen, aber gerade habe ich in London eine Ausstellung gesehen über die Futuristen, die ebenfalls versucht haben, Musik darzustellen, z.B. Dynamische Abläufe, weil sie dauernd Bewegungen malten. Da waren zwei oder drei sehr interessante Bilder dabei, eins z.B. von Barlach. Diese versuchten Klangbögen zu illustrieren durch schattierte Abstraktionsfarben. Bei einem war ein Geigenhals dabei, aber man brauchte das schon gar nicht. Das andere ist noch viel aufregender, da es Umsetzung von Musik in Farbe ist, die ja dann auch wieder zum Bild wird. Über den Umweg über die Frage nach der Farbigkeit und Musik kann man wieder zurückkommen auf altes Bildmaterial, alte Bilder. In der Frührenaissance oder in der Frühgotik, die Darstellung des Himmels, des Weltbaus, des christlichen Kosmos sind musikalische Kompositionen mit dem Mittel von Farbe. Blau, Gold und Rot, relativ wenige Farben korrespondieren zu einer relativ einfachen Musik auch, sind also irgendwo auch gemalte Musik. Wobei die Farbe wichtiger ist als die Objekte. Die Abstraktion von den Objekten, von der Gegenständlichkeit ist dann von den Modernen vollzogen worden. Paul Klee hat sehr viel getan auf demGebiet der gemalten Musik, und dann gibt es natürlich auch Musiker, die selber gemalt haben, wie Arnold Schönberg. Das sind nicht nur zwei verschiedenen Fähigkeiten, sondern Schönberg selbst hat das als zwei Seiten derselben Medaille gesehen. Er war nicht nur Sonntagsmaler, sondern hat sehr systematisch und sehr bewußt gemalt.
Da gibt es noch eine ganze Menge Forschung, die ich jetzt nicht übersehe, aber ich weiß, daß es die gibt, ein faszinierendes Feld. Es gibt noch so viele schöne Fragen in der Welt, die wichtiger sind als Irak. Es ist schade oder tragisch, daß wir unsere Energien verschwenden müssen mit solchen Fragen wie Irak, statt uns solche Wahrnehmungsfragen von Ästhetik und Musik zu stellen.
Was ist Ihr Lieblingsbild hier zu Hause?

David Krippendorff: HEAVEN (NOT FOR ME) #1, 2001 \\ Lambda Chrome Digital Print \\ 40x50"
Die Bilder, die mein Sohn gemacht hat. Hier das sind Fotografien in einer Mischtechnik aus positiven und negativen Streifenformen.
interview by Tim Otto Roth from 6 April 2004 at Berlin
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