Christa Maar - art historian


"Museums are just invented places for pictures"
(links for Christa Maar)

Christa Maar leitet seit 1994 die von Verleger Dr. Hubert Burda gegründete AKADEMIE ZUM DRITTEN JAHRTAUSEND, die seit 2000 zur neu gegründeten Hubert Burda Stiftung gehört.
Frau Dr. Maar, was spielen Bilder für eine Rolle in Ihrem beruflichen Umfeld?
Ich bin Leiterin einer Stiftung, die aus einem Medienhaus hervorgegangen ist. Bilder spielen deshalb von vornherein eine große Rolle.
Wie nehmen Sie aus dieser medialen Perspektive den digitalen Wandel wahr? Inwiefern unterscheiden sich digitale Bilder von klassischen technischen Bildern?
ubiquitous availability of digitial images Vor allem ermöglicht die Digitalisierung von Bildern, daß Bilder jederzeit und überall für Jedermann zur Verfügung stehen. Das ist wohl der größte Unterschied.
Was haben dann Bilder für einen Ort, wenn sie derart mobilisiert sind?
museums: invention of a place for pictures Die Frage nach dem Ort von einem Bild habe ich mir eigentlich nie gestellt. Die Bilder, die durch den Computer und mit oder ohne Telefonlines in der Welt herum sausen, haben gar keinen Ort. Die sind ja auch vollkommen entmaterialisiert. Man schaut auf etwas, was eine eigentlich merkwürdig pixelige Oberfläche ist. Natürlich liegt auch hier ein materieller Grund vor. Was hatten denn die Bilder vorher für einen Ort? Diese hatten den Ort, der ihnen zugewiesen wurde. Bilder wurden an Königshäusern und Fürstenhäusern gesammelt und Gebäude dafür gebaut. Doch sind diese Museen nicht der Ort der Bilder, vielmehr hat man einen Ort für die Bilder erfunden.
Ein kleiner Wechsel auf die metaphorische Ebene: Wie gewichten Sie digitale Bilder? Sind diese eher schwer oder eher leicht?
Leicht.
Wie sieht es mit der Tiefe digitaler Bilder aus?
3d-images may work with a similar space construction like Renaissance Das kommt darauf an. Es gibt ja durchaus Bilder, die eine sehr große Tiefe haben. Gerade wenn ich an all die Bilder denke, die die Naturwissenschaften benutzen, die mit 3-D-Programmen arbeiten, da haben die Bilder durchaus eine ungemein plastische Tiefe, die man beinahe schon anfassen kann. In gewisser Weise sind sie ähnlich aufgebaut wie zentralperspektivisch konstruierte Räume in der Renaissance, sie arbeiten ja auch mit den Sehgewohnheiten, daß sich z.B. Linien in die Tiefe verjüngen.
Sie haben die Reihe „iconic turn“ initiiert. Warum haben Sie sich für das Adjektiv „iconic“ entschieden, schließlich wartet das Englische neben „icon“ auch noch mit weiteren Begriffen für Bild wie „picture“ und „image“ auf?
Also mir erscheint der Begriff „iconic“ etwas umfassender als der Begriff „pictorial“. Es gibt zwei verschiedene Apologeten diese Turns: Mitchell hat diesen einmal „pictorial turn“ getauft und dann gibt es die Position von Herrn Böhm, der diesen „iconic turn“ genannt hat. Ich habe mich mehr zu Herrn Böhm hingezogen gefühlt. In Absprache mit Herrn Böhm -er hat schließlich den Begriff geprägt- haben wir deshalb die Reihe „iconic turn“ genannt. Er hat ihn sozusagen für diese Lectureserie geschenkt.
Der „iconic turn“ lehnt sich begrifflich auch an den „linguistic turn“ an. Welche Analogien aber auch welche Unterschiede sehen Sie hierzu?
watching the flood of pictures: where the "iconic turn" has begun? Ehrlich gesagt, sehe ich die Parallelen nicht so, außer daß ich beobachte, daß es in den Wissenschaften irgendwann einen Paradigmenwechsel gibt. Ein Paradigmenwechsel war eben der „linguistic turn“. Der nächste Wechsel, den man kreiert oder aber festgestellt hat, war der „iconic turn“. Es ist immer etwas willkürlich, wo man den nun zeitlich fest macht. Wir haben es schließlich bereits in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderst mit neuen Technologien zu tun, die vermehrt zur Bilderproduktion führen. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch kommt eine Technologie nach der anderen hinzu, die immer mehr Bilder produziert. Wir haben es heute also mit einer Bilderflut zu tun. Wo Sie dann den „iconic turn“ dann wirklich festmachen, das kann man eigentlich gar nicht entscheiden. Wollen Sie diesen bei der Erfindung des Fernsehens oder beim Einzug der digitalen Bilder festmachen? Irgendwann sagt man eben, jetzt haben wir es mit Informationen über Bilder zu tun, statt nur Information durch Texte.
Der Wissenschaftshistoriker Peter Galison hat ausführlich den Wiedereinzug der Bilder in die Wissenschaft beschrieben. Eine Schlüsselwissenschaft ist davon ausgespart geblieben: die Genomik. Für viele klingt es überraschend, daß die Genomik eigentlich keine Bilder besitzt. Was hat hier für ein „Turn“ stattgefunden?
sciences work with models Wir hatten in der Serie an der Universität auch einen der über Nanotechnologie gesprochen hat, also über Dinge, die man praktisch nicht sieht. Die sind so klein, daß man sie nicht sieht, also muß man sie sich vorstellen. Dazu macht man Bilder. Natürlich zeigen diese Bilder nicht das, was da wirklich ist. Das ist lediglich eine modellhafte Vorstellung. Die Naturwissenschaften arbeiten mit Modellen.
Sie sind ja eine promovierte Kunsthistorikerin. Besitzen Bilder eine bildimmanente Logik?
Wenn Sie unter Bilder nun die Bilder der Kunst, von Künstler hergestellte Bilder meinen, dann haben Bilder eine bildimmanente Logik.
Und wie erscheinen die Bilder aus der Sicht eines Mitglieds eines Medienhauses?
Das ist was anderes, ich glaube nicht, daß man das vergleichen kann. Bei allen Bildern von Künstlern hat man es mit etwas zu tun, was einer gemacht und vorgestellt hat. Bei dem, was man sieht, ist viel von seinen Vorstellungen eingegangen. Wenn man Glück hat, dann kann man dies sogar nachvollziehen, was er sich dabei vorgestellt hat. Ich denke das kann man nicht vergleichen mit Fotografien, die oft ganz zufällig entstanden sind. Es gibt aber auch Fotografien, wie die von August Sander, die sind gebaut, wie andere ein Bild gemalt hätten.
Wenn Bilder abstrakt werden, erhalten Sie oft eine musikalische Komponente. Repräsentationsstrukturen werden aufgelöst, ähnlich der absoluten Musik verlieren sie dadurch an begrifflicher Faßbarkeit. Wie sehen Sie das Verhältnis von Bild und Musik?
abstract images as cool phenomena Ich sehe diese Analogie überhaupt nicht. Musik jeglicher Art evoziert Gefühle. Ich denke jetzt nicht an etwas Repräsentiertes, wie in der Pastorale von Beethoven, sondern an hohe Töne, tiefe Töne, bestimmte Instrumentalklänge, eine bestimmte Stimme, das ruft ein Gefühl in mir hervor und vermutlich fast in jedem. Gesang hat wahrscheinlich viel damit zu tun. Nicht umsonst singen die Leute alle so gerne.
Abstrakte Bilder sind eigentlich sehr kühl, fast schon unterkühlt. Alles was mir zu abstrakten Bildern vor meinem inneren Auge vorbeizieht, ist kühl und weg von mir. Bei Jackson Pollock sehe ich z.B., daß er in seinen „Drippings“ etwas von sich mit hinein bringt, aber das Bild selbst evoziert null Gefühle in mir.
Tendieren Ihre Präferenzen also hin zum Figurativen?
Nein, nicht unbedingt. Ich interessiere mich neben der Kunstgeschichte, bei der ich mich historisch mit der Kunst beschäftige, auch für die Gegenwartskunst. An der gegenwärtigen Kunst interessiert mich aber ganz etwas anderes, nämlich genau das, was auf mich zukommt, das in mir etwas anspricht. Das sind ziemlich viele Installationen, viele Videoarbeiten. Es reicht natürlich nicht, daß ein Fernseher in der Ecke steht und ein Video drauf läuft, sondern es ist meistens eine ganze Installation. Ich kann mich kaum an etwas erinnern, was mich mehr berührt hat, wie die große Installation die Bill Viola im Guggenheim in Berlin zeigte.
Wie kommt nun die Verbindung von der Kunst zur Wissenschaft zustande? Wo sehen Sie die Schnittstelle auf der Bildebene?
similar selfperception of artists and scientists Ich denke, da gibt es ganz viele Schnittstellen. Wenn Sie z.B. mit Naturwissenschaftlern sprechen, werden Sie feststellen, daß sie eigentlich ihren Schaffensprozeß relativ ähnlich wie ein Künstler sehen. Beim wissenschaftlichen Arbeiten geht es ja auch drum, etwas zu verfolgen und auch Repräsentationsformen dafür zu finden und etwas dann zu entdecken und festzuhalten. Ich glaube, Künstler und Wissenschaftler sind, obwohl sie sich gar nicht verbal verständigen können oder ganz schwierig nur, viel näher aneinander dran als manche andere.
Wir haben das mal ausprobiert und haben zehn, zwölf Künstler mit dem Hirnforscher Ernst Pöppel für eine Woche ans Forschungszentrum Jülich eingeladen. Die haben sich die ganze Großforschungsanlage mit den tollen Maschinen anschauen können. Die wollten alle mal auch das genauer sehen und sich erklären lassen, wie die Wissenschaftler damit arbeiten. Daraus haben sich auch eine Reihe von Zusammenarbeiten ergeben.
Was ich da gesehen habe, ist, daß die sich auf einer gewissen Ebene schon verständigen konnten und sich füreinander interessiert haben, auch wenn das manchmal vielleicht ziemlich schräg war - aber das macht ja nichts.
Natur- und Geisteswissenschaften scheinen sich offenbar, ganz und gar nicht so gut zu vertragen. Woran könnte das liegen?
the humanities often have no idea of natural science Die können sich überhaupt nicht vertragen. Ich glaube die Gründe sind hauptsächlich darin zu suchen, daß die Geisteswissenschaften auf einem wahnsinnig hohen Ross sitzen und sich überhaupt nicht dafür interessieren, was die Naturwissenschaften tun. Also als ich mit der Akademie begann, das war 1994, da habe ich ein Kuratorium von Beratern und Wissenschaftlern zusammengeholt, das ganz interdisziplinär zusammengesetzt war. Das Erstaunliche war, als es darum ging, was die Akademie tun sollte und worum es in der ersten Konferenz gehen sollte, daß Geisteswissenschaftler in diesem Kreis gesagt haben, auf jeden Fall sich mit einem Thema aus den Naturwissenschaften zu beschäftigen. Man sollte sich damit auseinandersetzen, was die Naturwissenschaftler eigentlich machen und welchen Modellen sie folgen. Die Geisteswissenschaftler waren sich also darüber klar, daß sie darüber nichts wissen und sich auch nie dafür interessiert haben. Man hat es hier sehr oft mit unglaublichen Vorurteilen zu tun. Wenn Sie also Geisteswissenschaftler, Philosophen, Ethiker reden hören, dann sprechen die über naturwissenschaftliche Themen ohne sich damit genauer beschäftigt zu haben. Aber sie wissen ganz genau, warum das alles schlecht ist.
Gibt es Ähnlichkeiten im Verhalten der Geisteswissenschaften der Kunst gegenüber?
philosopher: strange access to arts Das Verhältnis ist unverkrampfter. Aber da sehe ich immer, daß z.B. Philosophen ein etwas merkwürdigen Zugang zur Kunst haben. Die verstellen sich ja den Zugang ziemlich. Es ist eben sehr theoretisch. Dabei ist Kunst ja etwas Sinnliches.
Warum sollten Geisteswissenschaftler dennoch weniger Hemmungen haben, über Kunst zu sprechen als über Naturwissenschaften?
no sensual look on the arts Weil man es da als Geisteswissenschaftler relativ leicht hat. Man kann einordnen, was man sieht. Da ist ein Bild, da sieht man was und kann so ein ganzes theoretisches Gebäude darüber stülpen. Irgendwie stimmt es dann, auch wenn es dem Bild oder dem Künstler gar nicht gerecht wird oder nahe kommt. Aber unter Umständen findet man auch ganz was Interessantes raus, wenn man da ein ganz fremdes Gebäude drüberstülpt, was die Sache eigentlich völlig unsinnlich betrachtet.
interview by Tim Otto Roth from 11 Novembre 2003 at Hubert Burda Stiftung/ München
Links for Christa Maar:
Dr. Christa Maar/Huber Burda Stiftung 
AKADEMIE ZUM DRITTEN JAHRTAUSEND
Iconic Turn

Publications:
(with Hans-Ulrich Obrist, Ernst Pöppel)
(with Hubert Burda)