Andreas Schelske - sociologist


"images as iconic navigation space for communication"
(links for Andreas Schelske)

Andreas Schelske/ Institut für multimediale und interaktive Systeme (IMIS) in Lübeck

Am IMIS übernehme ich die Funktion, Informatiker in Soziologie, Semiotik, Kunst, Internetkunst und Geschichte von Hypermedien zu unterrichten. Ich bin aber von Haus aus Soziologe, habe Philosophie, Volkswirtschaftpolitik und Psychologie in Hamburg studiert und eine Promotion zur kulturellen Bedeutung von Bildern angeschlossen. Darauf war ich in der Marktforschung beschäftigt. Nach einer Tätigkeit in der Trendforschung bin ich wieder zurück an die Universität gegangen.

Was für eine Rolle spielen Bilder für Dein berufliches Tätigkeitsfeld?
images as media of perception which make social coordinations possible
Bilder sind für mich eine Form der Wahrnehmungsmedien, die soziale Koordinationen ermöglichen. Ich untersuche, wie diese ikonischen Oberflächen - am liebsten würde ich Sie ikonische Information nennen - soziale Koordinationsprozesse übernehmen. Dort ist es für mich relevant, wie diese Bilder ermöglichen, z.B. Lebensstile, Kleidung oder Politik zu beeinflussen, wie sie Navigationsräume für Wissen bereitstellen oder Entlastungsräume, wie z.B. in der Spielzeugindustrie, geschaffen werden. Ich beschäftige mich also mit ikonischen Räumen für den ganze Bereich des Visuellen, der immer breiter in dieser Gesellschaft wird und der nicht mehr über einzelne Stile oder Gruppen zu definieren ist, sondern über Leitideen.
Kann man auch von Leitbildern oder Weltbildern sprechen?
creating orientation Weltbilder kann man nicht sagen, sondern ich würde so, wie ich es heute vorgestellt habe, sagen, daß man strukturell funktionale Leitideen hat, bzw. eine Bildfunktionalität, die dafür sorgt, daß bestimmte Formen von Orientierung geschaffen werden durch diese Bildlichkeit.
Wie ist Dein persönliches Gefühl im Umgang mit digitalen Bildern?
positive feeling, that digital images increase interesting communication Ich habe ein sehr positives persönliches Gefühl, weil ich mich sehr viel in digitalen Welten bewege. Ich bin doch sehr früh in die Digitalisierung mit eingestiegen. Vor 14 Jahren, als es das Internet noch gar nicht gab, habe ich mir ein ganz kleines Modem gekauft. Von daher bin ich emotional sehr positiv gestimmt und erwarte mir nach wie vor eine Zunahme interessanter Kommunikation- was sich für mich bis heute bestätigt hat.
Wie sieht es mit dem Vertrauen in digitale Bilder aus?
trust: a new parametre of social orientation Vertrauen ist mein Lieblingsthema, das ich nunmehr seit einem Jahr verfolge, weil ich den Eindruck habe, daß die Gesellschaft von Wahrheit und Glaubwürdigkeit als Orientierungsparameter auf Vertrauen umstellt, um Risiken zu kompensieren. Vertrauen erlaubt also Risiken in der Handlung an andere Institutionen oder wie auch immer an Personen abzugeben, man muß sie nicht selbst tragen. Dadurch ermöglicht Vertrauen eine größere Handlungsfreiheit.
Erhalten Bilder dann nicht auch eine Art metaphysische Ersatzfunktion?
images without a function of values Nein, ich kann nicht sehen, daß die Bilder eine Wertfunktion haben, sondern daß Bilder als kommunikative Mittel eingesetzt werden, um mit anderen Menschen zu kommunizieren. Ich glaube, daß Bilder bzw. bildhafte Interaktionsräume immer stärker dafür dienen werden, daß Menschen sich treffen. Ich kann in den Bildern, die ich beobachte, nicht erkennen, daß eine metaphysische Ebene dahinter steckt. Was nicht heißt, wie Herr Fellmann sagte, daß die Bilder selbst eine mythische Kraft haben.
Bilder haben also eine verbindende Funktion?
images as link between cultures beneath the limitations of language Eine verbindende Funktion zwischen Menschen, Kulturen, unterschiedlichen Formen sozialer Organisation auf jeden Fall, weil sie die Möglichkeit haben, unterhalb von Sprachgrenzen eine Kommunikation zu fördern, die sofort anknüpfbar ist.
Wie unterscheidest Du diese bildliche Funktionsweise konkret von Sprache?
images can be easier to learn Sprache, die ja in sprachlichen Symbolen organisiert ist, muß man erst einmal mit einem hohen Aufwand lernen. Möglicherweise gibt es auch einen Lernaufwand bei Bildern. Wenn es diesen aber gibt, dann ist dieser Lernaufwand sehr schnell einzuholen. Aus diesem Grunde können nahezu alle Menschen dieser Welt in bildhaften Medien interaktiv agieren, da relativ schnell transparent wird, was dieses Bild nun bezeichnet. Das heißt nicht, daß sich die Interaktionspartner schon verstanden haben, die haben sich erst einmal gesehen innerhalb des ikonischen Interaktionsraumes.
Inwiefern sind unterschiedliche Bildkulturen miteinander kompatibel, z.B. die europäische und die asiatische Bildkultur?
relation between different pictorial cultures: complementarity instead of concflict Das hängt von der Gesellschaft ab, die diese Bildkultur betreibt, bzw. für sich organisiert. Das, was ich sehe, ist, daß die asiatischen Bildkulturen, die ich kenne - die thailändische, die indische und die mongolische, sehr wohl westliche Bildkultur übernehmen kann, teilweise auch ein Interesse daran hat und nebenbei auch ihre angestammte Kultur aufrecht erhält. Bei diesen drei Kulturen habe ich den Eindruck, daß es kein Konflikt zwischen den Bildkulturen stattfindet, sondern eine Ergänzung. Was nicht heißt, daß ich beurteilen könnte, mit welchen Emotionen die Inder, bzw. die Thailänder oder Mongolen den ausländischen Bildkulturen gegenüberstehen, da ich dies nicht untersucht habe. Ich vermute aber, daß europäische Bildkulturen dort gänzlich anders beurteilt werden.
Das Verhältnis von Bild und Text spielt auch eine gewichtige Rolle bei digitalen Bildern. Ich habe zum einen Bilder, die phänomenal für sich genommen etwas Konkretes, Singuläres darstellen, und ich habe auf der anderen Seite das Festhalten von Bildern in einer Codesprache, die stets mit einer allgemeinen Begrifflichkeit agiert. Das heißt bei der Digitalisierung wird das Konkrete dem Allgemeinen unterworfen. Wie siehst Du den Balanceakt zwischen dem Konkreten und dem Allgemeinen?
algorithms as pictorial filter Meiner Ansicht nach sind Computersysteme nicht mit der menschlichen Sprache gleichzusetzen. Was wirklich bedenklich für die Bilder ist, daß die Algorithmen des Computers sehr stark filtern, in welcher Art und Weise, die Qualität von Bildern gesteuert wird. Das kann man sehr gut sehen an der digitalen Photographie, die bei weitem nicht die Körnigkeit und Feinheit von fotochemischer Photographie besitzt. Dort ist also möglicherweise ein großer Verfremdungseffekt der Bilder vorhanden, so wie wir sie kennen. Computerbilder sind natürlich auch nicht so organisiert wie Malerei. Auch die Ausgabe auf dem Interface ist eine ganz andere Form von Bildlichkeit. Summa summarum: Der Computer, das Interface, als auch der Code - also das ganze Computersystem - verändern die Erfahrung von Bildlichkeit in ihrer eigenen Weise, so wie Photographie die Malerei verändert hat, so verändert digitale Photographie alle Bilder, die wir vorher gekannt haben.
Der Pixel ist ein wesentliches Element des digitalen Bildes und zeichnet sich dadurch aus, daß er eine Koordinate und einen Farbwert hat. Bilder werden durch Pixel also mathematisiert. Wie verhält es sich denn mit der Scalierung, welche Größe hat ein digitales Bild?
what we perceive as image depends on the interface Das ist das Interessante, daß der digitale Code keine Größe in dem Code selbst hat. Weil die Projektionsverhältnisse in denen der Code gelesen wird, nicht angibt, welche Größe das Bild in einem Interface, sei es auf einem Screen oder Beamer, hat. Insofern verändert sich das Bild durch das Interface selbst. Das Bild ist also nicht mehr eine feste Größe, die wie bei einem Gemälde austauschbar ist, sondern es ist variabel und hängt von dem Interface ab. Dadurch ändern sich auch die kommunikativen Verhältnisse. Es macht einen Unterschied, ob ich ein Bild auf dem Handydisplay oder auf der Kinoleinwand sehe. Insofern müßte man noch wahrnehmungspsychologische Forschung anstellen, inwiefern diese unterschiedlichen Bildgrößen auf die Wahrnehmung einwirken.
Gibt es denn noch einen Ort von webbasierten Bildern?
internet adress as the most stable location Ich habe gestern zu Frieder Nake gesagt, daß mein festester Ort meine Internetadresse ist. Dies ist der festeste Ort, weil ich anderswo überall mobil bin; ich wechsle die Städte oder auch möglicherweise auch meine Handynummer, wenn ich den Anbieter wechsle. Ich habe den Eindruck, daß der stabilste Ort meine Website ist. Von daher scheint sich mir das Verhältnis umzudrehen, wenn ich von mir selbst ausgehe, daß ich mobil bleibe und der eigentlich feste Ort der Server in Berlin ist, weil ich dort weltweit erreichbar und verfügbar bin, bzw. auch selbst etwas kommunizieren kann. Insofern habe ich den Eindruck, daß auch Bilder einen festen Ort im Internet erhalten können, wenn der Besitzer der Bilder diesen einen festen Ort geben möchte. Das Problem, das wir im Augenblick haben, ist nicht, daß das Internet so flexibel ist, sondern daß die Besitzer der Bilder flexibel mit ihren Adressen und Bildern umgehen. Aber das Internet an sich ist ein stabiler Ort in dem Sinne, daß die Adresse immer die gleiche bleibt.
Was passiert nun, wenn ein und dasselbe Bild gleichzeitig an zwei Orten erscheint?
images become images by human beings and not computer systems Wenn jetzt nun zwei Bilder konkret werden - Bilder werde ja erst durch Menschen zu Bildern und nicht durch die Adressen und die Computersysteme, ist die Konsequenz, daß der Ort dieser Bilder recht flexibel ist, obwohl die Adresse immer die gleiche ist.
Im IT-Bereich werden numerisch basierte Informationen, seien es Bild-, Text- oder andere Mediendaten unter dem Begriff "content" zusammengefasst. Wie betrachtest Du diese definitorische Gleichsetzung unterschiedlicher Medientypen als "Inhalt"?
content as modern notion of the New Economy to creat new wares Content ist nur ein moderner Begriff der New Economy, um Waren zu schaffen, die verkaufbar sind. „Content is king“ war ja deren Slogan. Nachdem man feststellte, daß es sich nicht lohnt, einfach nur bunte Bilder ins Internet zu stellen, bemühte man sich eine gewisse Navigation oder auch Content zu bieten, um das Interesse der Leute zu wecken. Ich habe aber den Eindruck, daß es ein Marketinggag ist, es „content“ zu nennen, da es sich einfach gut verkauft unter dem Begriff.
Gab es in den letzten 10 Jahren neue Bilder in der Wissenschaft?
Na klar, ich glaube, daß insbesondere die Computervisualistik dabei ist, neue Bilder, interaktive Bilder zu entwerfen, die in head mounted Displays zu sehen sind, die als virtuelle Räume, in die man hineingehen kann, angelegt sind oder die den Körper als augmented reality involvieren. Da habe ich den Eindruck, das ständig sehr viel neue Bilder entwickelt werden oder neue Bildformen und Kommunikationsmöglichkeiten. Von daher ist gerade in den letzten 10 Jahren sehr viel zumindest an Ideen gewachsen, wo man den Eindruck hat, es entsteht eine völlig neue Art von Bildlichkeit in Form von ikonischen Räumen.
Die Frage ist natürlich, ob man wirklich sagen kann, ob das tatsächlich ganz neu ist.
Wie siehst Du das Verhältnis von Bild und Daten? Unterscheiden sich die Aufnahme von Bildern eigentlich noch groß von der Messung und Erfassung von Daten?
Charles S. Peirce: images as measures Daß das Bild eine Messung ist, war eine Idee von Peirce, der dachte, daß die Photochemie im messenden Charakter zu dem Objekt steht, indem die Chemie über die physikalische Reaktion auf der Photoplatte auf die Lichtstrahlen bzw. die Stärke des Lichts reagiert. Messen bedeutet, daß man einen direkten Bezug hat. Insofern hat die Photographie einen messenden Charakter. Die Schwierigkeit ist nun, ob das digitale Bild in gleicher Weise noch einen messenden Charakter besitzt. Man muß annehmen, daß dieser messende Charakter zumindest sehr verfremdet wird, weil die Photorezeptoren von digitalen Kameras sehr wohl in einem physikalischen Sinne reagieren, aber dann findet ein Umcodierungsprozeß statt, der nicht mehr auf physikalischem Wege erfolgt, sondern es sind Algorithmen, die diesen bestimmen.
Was geschieht dann mit dem optischen Bild?
Es ist eine algorithmische Transformation der Optik, die wir da sehen.
Inwieweit kann man von dem Kunstdiskurs, auf Bilder mit Bildern zu antworten, Parallelen ziehen zu den Wissenschaften?
Es ist durchaus Gang und Gebe auch in Wissenschaften Bilder gegen Bilder zu halten, z.B. in der Statistik oder dem Bereich der Computertomographie. Insofern macht die Kunst auch das, was sie immer tut: sie hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, der in gleicher Weise funktioniert, wie die Gesellschaft selbst.
Gibt es nicht auch eine Tendenz zu einem Polyperspektivismus, wenn man mit Bildern diskutiert?
iconic interaction:
no dialogue of reciproque comprehension
Ob es eine Bilddiskussion gibt, ist schwierig zu sagen, auch der Begriff des Diskursiven ist nicht einfach handzuhaben. Als Soziologe würde ich gerne den Begriff der ikonischen Interaktion verwenden, da ich den Eindruck habe, daß hier genau beschrieben wird, was passiert. Es ist nicht ein Diskurs oder ein Dialog, der auf wechselseitigem Verstehen basiert.
Aber kann man es als Erkenntnisprozeß bezeichnen?
iconic processes as knowledge processes Ikonische Prozesse sind Erkenntnisprozesse, weil hier etwas in die Kommunikation gehoben wird, was vorher so in der Kommunikation nicht war. Erkenntnis betrifft aber nicht nur Kommunikation, sondern auch das, was ein Mensch als Individuum als Erkenntnis gewinnt. Von daher haben Bilder aus soziologischer Sicht die Fähigkeit, etwas innerhalb ihrer Kultur zu thematisieren und den Kommunikationsprozeß so anzuregen, daß Wissen entsteht. Darüber ist dann Erkenntnis möglich.
Gibt es dann eine bildimmanente Logik?
Das würde ich nicht sagen, da soweit ich weiß, keine Negationen in Bildern vorhanden sind. Ich müßte mir aber den Begriff noch mal genauer anschauen, da ich hier auf der Tagung einen noch weicheren Logikbegriff gehört habe, als ich den habe.
Wenn Bilder abstrakt werden, stellen sich viele Analogien zur Musik ein. Wie siehst Du das Verhältnis von Bildern und Musik?
images: higher of potential of identification than music Die semiotische Antwort ist, daß beide Formen einen sehr offenen Interpretationscharakter besitzen. Ich habe den Eindruck, daß Bilder sich in die Richtung von Musik entwickeln. Was für Bilder nämlich neu ist, daß sie ein sehr schwierig nachzuvollziehendes Darstellungsverhältnis zu dem haben, was unsere körperliche Erfahrung in dieser terrestrischen Welt ist.
Aus soziologischer Sicht glaube ich, daß Bilder für soziale Orientierung immer wichtiger werden. Bilder haben ein viel höheres Identifikationspotential als die Musik in der Weise, daß sie in der Wissensnavigation eine viel stärkere Orientierung geben. Ich habe den Eindruck, daß die Musik zu ungenau bleibt, Navigation in einem Wissensraum zu organisieren. Sehr wohl kann Musik dies aber unterstützen. Nicht zuletzt kommen aber Bild und Musik im Unterhaltungsbereich zusammen, wo sie einen mächtigen Faktor bilden.
interview from 28 September 2003 at Magdeburg
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