Eva Schürmann - philosophy


"Perceptions have the same kind of twofoldness as images."
(links for Eva Schuermann)

Liebe Eva Schürmann, indem Sie insbesondere auf den Begriff der Einbildungskraft bei Immanuel Kant und Gottlob Fichte Bezug nehmen, plädieren Sie für einen performativen Bildbegriff. In meinen Untersuchungen zur Imachination legen sich mir auf gänzlich anderem Wege, nämlich auf dem technologischen, ähnliche Schlüsse nahe. Im folgenden möchte ich näher Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Was spielen Bilder denn in Ihrer philosophischen Arbeit für eine Rolle?

Perceptions have the same kind of twofoldness as images, they let us see something in a certain way.

Ich denke, daß es eine Strukturidentität von Wahrnehmung und Bild gibt, die darin besteht, dass Wahrnehmungen sich ebenso sehr aus inneren Bildern und Vorstellungen speisen, wie aus äußeren Bilder, die Anschauungsobjekte sein können. Wahrnehmung weist die gleiche Doppelstruktur auf wie ein Bild, nämlich aus einem im weitesten Sinne semantischen Was zu bestehen und einem syntaktischen Wie. Mit den alten Begriffen hätte das Inhalt und Form geheißen, bei Dewey heißt es Substanz und Form; Semantik und Syntax oder Konzept und Anschauung kann man auch sagen. Entscheidend ist, daß Bilder immer ein bestimmtes Was auf eine bestimmte Art und Weise zeigen, und diese Eigenschaft teilen sie mit dem Umstand, daß wir immer etwas auf eine bestimmte Weise sehen. Zeigen und Sehen weisen insofern eine gewisse Strukturidentität auf.

Insbesondere interessiert mich, wie Sie auf das Bild als Gegenstand der philosophischen Auseinandersetzung gekommen sind?


James Turrell concentrates on the perception and not on its objects

Kant taught us something about Imagination as part of perception.

Indem ich über Wahrnehmung nachgedacht habe. Das war schon das Thema meiner Promotion über die Lichtinstallationen James Turrells und über die Wahrnehmmungstheorie Merleau-Pontys. Es ging um die Frage, was Wahrnehmung ist und was in der eigenen Wahrnehmung passiert. Turrell hat den Anspruch, unser eigenes Wahrnehmen wahrnehmbar zu machen. Es geht ihm gerade nicht um wahrgenommene Gegenstände, sondern darum, den Prozeß unseres eigenen Wahrnehmens wahrnehmbar zu machen. Später erst kam ich dazu, über die Variabilität und Produktivität der Wahrnehmung im Zusammenhang mit der Einbildungskraft nachzudenken, Einbildungskraft ist Kant zufolge notwendig an Wahrnehmungen beteiligt. Er hat das insbesondere im Schematismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft gezeigt. Die Einbildungskraft ist dasjenige Medium, durch das und in dem Anschauungen und Begriffe aufeinander bezogen werden. In der ersten Auflage macht er das wesentlich stärker, später nimmt er das wieder ein bißchen zurück, und es kommt darauf an, wie man ihn liest. Jedenfalls entwickelt er eine Theorie, in der er zeigt, wie die Einbildungskraft diese beiden Säulen der Erkenntnis, Anschauungen und Begriffe, produktiv ineinander vermittelt oder aufeinander bezieht. Das finde ich interessant, weil es etwas sagt über die bildhafte, bildnerische Verfassung unserer Selbst- und Weltbezüge. Deswegen reden wir auch, wie ich meine, in mehr als nur metaphorischer Weise von einem Selbstbild oder Weltbild, wir könnten nicht genauso gut sagen: Selbsttext oder Weltkonzept, jedenfalls nicht, ohne dass das kognitivistisch klänge. Theoretische Vorstellungen von der Welt oder und von sich selbst unterschlagen den Bildcharakter, den diese Bezüge haben, indem sie wahrnehmungsvermittelt sind.

The term image refers to perceptions and imaginations.

Mit dem Begriff Bild rekurriert man auf Wahrnehmungen und Vorstellungen. Bilder leben von ihrem anschaulichen Gehalt eben so sehr wie von dem, was sie inhaltlich sagen. Ich sehe darin Anlass genug, über einen performativen Bildbegriff nachzudenken und Bilder nicht nur als gegenständliche Tableaus, sondern als Bildereignisse zu begreifen, als Bildakte, die etwas tun oder etwas sagen, indem sie was zeigen. Das ist übrigens auch eine interessante Verwandtschaft zwischen der Metapher und dem Bild. Die pragmatische Metapherntheorie betont ja auch, dass die Metapher etwas tut, indem sie was ausdrückt. Das ist beim Bild ebenso.

Sie haben ihren performativen Ansatz an anderer Stelle auch als „Theorie der Bilder als prozessualer und relationaler Bewegung der Vermittlung von Differenzen“ bezeichnet. Wenn Sie ferner davon sprechen, daß Bilder demnach nicht Bilder von, sondern Arten von Vergegenwärtigungen sind, die etwas sichtbar machen, das ohne sie überhaupt nicht vorkäme, so finde ich das eine treffliche, wenn auch philosophischer formulierte Definition von dem, was ich mir unter Imachination begreife. Sehen Sie die performativen Bilder in Opposition zu statischen Bildern?


Orange and Yellow, 1956
When we are looking at pictures we perform them.

Das kommt darauf an, was man mit statischem Bild meint. Zum Beispiel kann auch ein Bild von Mark Rothko als Ereignis verstanden werden, indem es prozessual erscheint. Es wird in der Wahrnehmung realisiert und kommt in ihr gleichsam zur Aufführung. Es wird im Akt der Bilderfahrung nach Art von aufführenden Künsten lebendig und dadurch natürlich auch in gewisser Art performativiert. Aber von diesem Rezeptionsakt, diesem performativen Akt des Bildersehens, kann man noch das Bild als Objekt separieren. Ich nehme an, das wäre zum Beispiel bei Ihren Arbeiten schwieriger, deren technisierte, digitalisierte Verfassung es schwierig, wenn nicht unmöglich macht, ein Objekt herrauszugreifen, weil das Werk überhaupt nur als Prozess vorkommt.

Bedeutet Ihr performativer Ansatz auch eine Wegbewegung von einer ontologischen Fragestellung?

Ja. Unbedingt.

Ich habe Sie so verstanden, daß es nicht mehr um die Frage geht, was ein Bild an sich ist, sondern es eigentlich darum geht, wie wir Bilder erfahren und mit ihnen umgehen.

The presence of an image consists in that it makes something visible that otherwise could not be seen at all.

Das ist insofern auch eine Absage an alle Versuche, Bilder zu hypostasieren, gegenständlich dingfest zu machen und sie damit instrumentalistisch zu reduzieren. Es stört mich oft bei dem Begriff des Bildhandelns , dass die Bilder dort zu etwas werden, was nur Werkzeug und Mittel zum Zwecke von etwas anderem darstellt. Damit wird diese genuin bildliche Qualität des Sichtbarmachens von sonst Unsichtbarem unterschlagen. Die Präsenzleistung, die ein Bild hat, wird auf eine Mittel-Zweck-Relation reduziert. Ein performativierter und prozessualisierter Bildbegriff ist weiter gefaßt und führt weiter im Denken als der gegenständliche Bildbegriff. Ein Bildbegriff, der Bilder als Formen unserer Gegenstandsbezüge begreift, ist reichhaltiger.

Sie beziehen ihre Performativität auf den aktiven Prozess des Wahrnehmens des Rezipienten. Mich interessiert als materiell bildender Künstler natürlich die Fragestellung, wo der produktive Aspekt mit ins Bild einfließt und sich die Bilder auch materiell performativ verändern.

Mental images are formed by perceptions and imaginations, they are not available as things.

Images are ways in which we refer to things.

Dazu muß ich noch kurz darauf zu sprechen kommen, was ich unter inneren Bildern verstehe. Ich meine damit nicht das, was Neurophysiologen unter mentalen Bildern verstehen oder was innerhalb der mental-imagery-Debatte verhandelt wird und auch nicht mentale Repräsentationen im Kopf. Mit inneren Bildern meine ich vielmehr Vorstellungsbilder und Wahrnehmungsbilder, die nicht als Gegenstände greifbar und sichtbar sind. Diese Bildern speisen sich sehr stark aus Wahrnehmungen. Ich habe ein Weltbild oder Selbstbild auf der Basis dessen, was ich perzeptiv von der Welt erfahren habe.
Wenn man jetzt nur davon ausgeht, daß unsere Selbst- und Weltverhältnisse in erster Linie sprachlich vermittelt sind, dann unterschlägt man diese Wahrnehmungs- und Anschauungsleistung. Wenn man andererseits nur vom leiblichen Spüren ausgehen würde, dann unterschlägt man wiederum die Einflüsse von Vorstellungen, Normen, Einstellungen etc. Ein Bildbegriff aber als Form unserer Gegenstandsbezüge - also als Form, wie wir uns auf Gegenstände beziehen - scheint mir da reichhaltiger zu sein.
Wenn Sie kosmische Strahlung in Farbimpulssequenzen sichtbar machen, dann nimmt ja auch etwas sonst Unsichtbares eine sichtbare Form an.
Vielleicht gibt es eine gewisse systematische Nähe zwischen ihrem Bildbegriff und meinem, indem das, was was ich mit performativen Bildern meine, das ist, was Sie versuchen materialisiert wahrnehmbar zu machen.

Ja, ich denke, die systematische Nähe liegt bei den zwei Dimensionen der Einbildungskraft, die Sie bei Fichte aufzeigen. Die eine betrifft die subjektive Einbildungskraft, wo es einfach darum geht, wie verhält sich Einbildungskraft des einzelnen Subjektes zur Welt. Sie erwähnen aber auch eine intersubjektive Komponente der Einbildungskraft, auf die Sie leider in dem Text, den ich von Ihnen hatte, nicht näher eingegangen sind. Ich glaube, daß das, was ich mit Imachination bezeichne, genau in diese Richtung zielt und auf diese intersubjektive Komponente anspielt. Die mediale Funktion, die bei Ihnen der Einbildungskraft zukommt, indem sie hilft ein Subjekt in Bezug zu seiner Wahrnehmung von Welt zu setzen, sehe ich bei der Imachination nun bei der Maschine angekommen, indem Sie als Zusammenspiel von Subjekten gleichzeitig zwischen einzelnen Subjekten nun vermittelt: also eine maschinengestützte, intersubjektive Einbildungskraft.

Ja, ich kann das in gewisser Weise nachvollziehen. Ich müßte aber noch mal darüber nachdenken, wie viel die Maschine daran selbst sozusagen mitagiert oder ob sie mehr als Schnittstelle von menschlichen Aktionen zu begreifen ist.

Ich möchte eigentlich nicht so recht zwischen Maschine und Subjekt unterscheiden, da der Einzelne als Kompositum stets Teil des Ganzen ist. Die Maschine ist selbst eine Komposition, die nicht statisch ist, sondern performativ ein stetiges Wechselspiel von Vorstellungen und Wahrnehmungen vollzieht.

Dealing with pictures is part of our social practice.

Das, was ich eben Gegenstandsbezüge genannt habe - also wie sich unsere Verhältnisse zu uns selbst und zum Anderen und zur Welt aufbauen – ist natürlich per definitionem eine hochgradig intersubjektive Angelegenheit. Daher rührt auch der erweiterte Begriff von Bildpraxis. Praxis im aristotelischen Sinne ist ein Handeln, das aus sozialem Verbund hervorgeht und das eine gemeinsame soziale Realität stiftet und realisiert. Ein Gedanke, an dem ich arbeite, ist das Sehen als eine solche Form sozialer Praxis zu qualifizieren; ähnlich dem Sprechen.

Es gibt auch Grenzen der Einbildungskraft - nämlich dann, wenn die Grenzen der Vorstellbarkeit überstiegen werden. Wenn ich Kant richtig verstanden habe, so beschreibt er diesen Moment mit der Erfahrung des Erhabenen. Kant verortet das Erhabene mit dem dynamischen Erhabenen in der Natur und mit dem mathematischen Erhabenen die ins unendliche gehenden Quantitäten der Mathematik. Ersteres bezieht sich noch auf eine Wahrnehmung von Welt, das zweite spielt sich bereits in der Vorstellung ab.

After Kant an aesthetic idea is what exceeds conceptions.

Das Interessante ist, daß da, wo Erhabenheit erfahren wird, immer schon diese Verflechtung von Wahrnehmung und Vorstellung greift - nach Art dessen, was Kant im Schematismuskapitel über die Einbildungskraft gesagt hatte. Eines seiner Beispiele des Erhabenen ist ja der „Sternenhimmel über mir“. Dieser ist natürlich kein bloßes Wahrnehmungsfaktum – sofern es so etwas überhaupt gibt - sondern ist natürlich schon die Vorstellung von Unendlichkeit, die mich da überwältig oder erhebt. Vorstellung als Vorstellung eines Unvorstellbaren ist sicher ein gutes Beispiel für Erhabenheit und insofern sind auch die Arbeiten von Ihnen, die sich auf astrophysikalische Erkenntnisse beziehen, ein gutes Beispiel für diese unvorstellbar großen und quantitativen Dimensionen, die in ihrer Arbeit mit hineinspielen. Ich denke, daß der Begriff der ästhetischen Idee von Kant da ein fruchtbarer Weg sein könnte, das begrifflich zu umschreiben. Denn Kant versteht die ästhetische Idee als etwas, das den Begriff transzendiert, das mehr ist als wir begrifflich fassen können.

Wobei mir einfach bei dieser ästhetischen Idee doch irgendwie zu sehr noch dieser Erfahrungsaspekt fehlt. So wie es beim Erhabenen der Fall ist. Das läßt mich einfach zur Überlegung kommen, ob nicht heute angesichts technisch vermittelter Phänomene es nicht noch weitere Dimensionen des Erhabenen gibt.

Neben dem mathematisch Erhabenen und dem dynamisch Erhabenen?

Vielleicht gibt es es noch eine weitere. Ich denke, daß sich eine weitere Dimension von Erhabenheit in der Erfahrung einer kollektive Subjektivität vereint in der Maschine als Imachination aufzeigen läßt. Das Erhaben, also das was die individuelle Vorstellungskraft übersteigt, ist dieses Amalgam von Vorstellungskräften der anderen Subjekte, die in der Maschine präsent sind und beteiligt sind. Entscheidend ist hierbei, daß mit der Imachination nicht nur eine Addition von Vorstellungskräften in der Maschime zusammen kommt, sondern im kantischen Sinne eine Art Synthesis stattfindet.

Das Werk ist also das Produkt dieser Syntheseleistung von interaktiven Akteuren?

Genau, ich denke bei dieser weiteren Dimension nicht an die eher unscharfe Formulierung eines "technological sublime" von David Nye, sondern vielmehr an den auf die Technik erweiterten Synthesisbegriff des Technikphilosphen Friedrich Dessauer .
Bleiben wir beim imachinativen Grenzbegang. Es gibt Bilder, die weder mimetische Repräsentationen sind noch Diagramme, bzw. Strukturbilder. Solche Bilder stellen uns vor ein Problem und bringen uns schnell an die Grenzen unserer Vorstellungskraft zu gehen. Ich denke insbesondere an Spurbilder. Was ich diesbezüglich erstaunlich finde, daß in in den Bildwissenschaften doch sehr wenig auf Spurbilder eingegangen wird.

Index and icon are both dealing with absence and presence.



The cosmic ray track at the KASCADE detector.

Das wird mehr innerhalb der Zeichentheorie verhandelt. Peirce hat diese nützliche Unterscheidung zwischen symbol, index und icon eingeführt Die Spur, die ein unmittelbarer Abdruck von etwas ist, unterscheidet sich vom eigentlich bildhaften Zeichen. Aber sicherlich überschneiden sich die beiden – also Bild und Spur – an dem Punkt, wo beide auf der Duplizität von Anwesenheit und Abwesenheit beruhen. Eine Spur macht etwas anwesend, was aber an sich selbst abwesend ist. Das Bild – nehmen wir das klassische mimetische Tafelbild – ein Portrait etwa, macht jemanden anwesend, der eben physisch abwesend ist. Dieses Zugleich von Positivität und Negativität, etwas als etwas anderes zu zeigen und sichtbar zu machen, das teilen wahrscheinlich Spur und Bild.

Ich bin mir nicht sicher, ob man den Spurbildern tatsächlich gerecht wird, wenn man versucht die Spurbilder wieder in diese Peircesche Zeichendebatte reinzuholen. Wir haben doch erhebliche Leseschwierigkeiten bei diesen vermeintlichen Spurzeichen . Sicherlich erfährt man eine Präsenz, aber man hat erhebliche Schwierigkeiten, wie man diese Präsenz einfach deuten kann.

Pictures are telling by showing something.

Da sind wir wieder bei dem, was wir zu Anfang mal gesagt haben: Bilder haben immer diese Doppelheit von dem, was sie sagen und dem, was sie zeigen, dem Was und dem Wie. Bei einem gegenständlichen Bildbegriff wird die genuine Präsenzleistung sehr zu Gunsten der gegenständlichen Referenz und Bedeutung vernachlässigt. Aber es ist ja gerade die Leistung des Bildes beides zu sein, Präsenz also wirklich zu eröffnen und damit aber dann natürlich zugleich etwas zu sagen/bedeuten.
Bei der Spur ist das vielleicht direkter. Man hat deshalb ja auch die Photographie unter diesem Spurtheorem bedacht.

Wobei ich ein sehr großer Kritiker dieses Ansatzes bin. Ganz einfach, weil ich dieses Analogon zur Fußspur im Sand nicht plausibel finde. Mir ist wirklich schleierhaft, wie man den Fuß durch die Optik bekommt.

Images differ from indexes by their capacities of depiction.

Was eine bloße Spur im Sinne des Fußabdrucks und ein Bild im Sinne eines mit formalen Rücksichten gebildeten Darstellungsaktes unterscheiden würde, wäre die konfigurierende, darstellerische Leistung. Das Bild ist gleichermaßen Anschauungsleistung wie Darstellungsleistung.

Ende Teil I des Interviews

interview by Tim Otto Roth from 21 January 2005 at ZKM Karlsruhe

Links for Eva Schürmann:
Prof. Dr. Eva Schürmann/HAW Hamburg 

video from talk about James Turrell (real video ,ca. 00:43:39 h:m:s, artknowledge.net)

Selected publications:
Die Medialität von Medien, in: reflex:, Tübingen 2010