Peter Weibel - artist & theorist

Peter Weibel: research in Vilém
Flusser's "universe of the technical

images" at the ZKM Karlsruhe

"The images are not used anymore to understand the world, but to comprehend the data."
(links for Peter Weibel)

Welche Rolle spielen Bilder in Ihrem beruflichen Umfeld?

lattice window in the South Gallery, Lacock Abbey, August 1835

Fox-Talbot: images without the destination of the hand of an artist

Das ZKM versteht sich als ein Bildforschungszentrum. Wir sind schwerpunktmäßig gestützt auf die Erforschung der technischen Bilder, d.h. auf die Klasse von Bildern, die von Maschinen erzeugt werden, zumindest mit Maschinenunterstützung erzeugt werden, weil beim technischen Bild sich auf vielfältige Weise Fragen stellen. Ich erinnere an die Arbeit von 1839 von Fox-Talbot – meiner Meinung nach das erste theoretische Manifest der Fotografie. Talbot beschreibt, daß er im Stande war ein Bild zu entwickeln, „without the destination of the hand of an artist“- also ohne die Hand eines Künstlers. Das war ein gewaltiger Paradigmenwechsel. Wenn ich sage, ein Bild kann ohne die Hand eines Künstlers gemacht werden, dann ist das so, als wie ein Bild überhaupt ohne Künstler gemacht werden kann, daß Maschinen zur Gänze die Bilder machen.
from photography towards Duchamp Damals kam der Gedanke auf, wenn schon Maschinen Bilder ohne den Künstler Bilder machen können, dann können vielleicht auch Maschinen ohne den Künstler Skulpturen machen. D.h. nicht nur das Bild sondern auch die Skulptur steht seit 150 Jahren unter dem Paradigma der Photographie. Die klassische Antwort darauf ist Duchamp. Er hat ja nie mit der Hand eine Skulptur gemacht, da war kein Pinsel mehr, kein Meißel mehr, der aus Gips, Marmor oder Lehm eine Skulptur formt, er hat vielmehr ein industrielles, fertiges - deshalb auch „ready made“ – Objekt, das von Maschinen produziert war, zur Kunst erklärt. D.h. die Photographie hat einen enormen Paradigmenwechsel hervorgebracht, das ist eben nach Flusser das „Universum der technischen Bilder“ und wir sind auf die Forschung dieses Universums konzentriert.
Lassen Sie uns das Terrain dieses Universum betreten. Webbasierte Bilder können gleichzeitig an verschiedenen Orten erscheinen. Wo befindet sich nun der Ort des technischen Bildes?
a radical challenge of the classical image, that is to say the notion of the original and originality Was mir diesbezüglich an Ihrer Arbeit der Imachinationen gut gefällt, ist, daß sie mit einem Typ von Bildern arbeiten, die einige Kriterien des technischen Bildes noch besser als die Photographie erklären können. Fox Talbot arbeitete immer noch mit einem Negativ und konnte davon unendlich viele Kopien abziehen. Wir haben in Ihrem Fall kein Negativ mehr. Vielmehr wenn diese Bilder gleichzeitig disloziert an verschiedenen Orten auftauchen, dann verhalten sie sich keineswegs wie Original oder Kopie zueinander. Das eine Bild ist kein Abklatsch vom andern.
Man sieht hier sehr deutlich eine radikale Infragestellung des klassischen Bildes, nämlich des Begriffs der Originalität, des Originals, der eine zeitlang kontestiert wurde im angelsächsischen Raum unter dem Begriff des Negativs, der Kopie. Dislokalisation stellt den Begriff des Originals noch viel radikaler in Frage: Nämlich wie kann ich physikalisch Original definieren? Das Problemfeld wird umso deutlicher, vergleicht man es z.B. mit klassischen Streitigekeiten,
wenn das Bild eines Malers in London hängt und dann das "gleiche"Bild in Nürnberg auftaucht. Dann sagt jeder vernünftige Mensch, daß es sich bei einem der Bilder um eine Kopie oder eine Fälschung handeln muß. Die physikalischen Beschreibung sagt mir genau, daß ein Bild als Gegenstand nicht gleichzeitig an zwei Orten sein kann.
Bei Ihrer Arbeit, die zwei Signale durch die Peripherietechnik zu verschiedenen Bildern werden läßt, ist es nicht mehr möglich, so zu denken. Keines der Bilder ist Kopie, keines ist Original, sondern beide sind das Original. D.h. die Dislokalisation ist eine Eigenschaft der technischen Bilder, weil sie nur ganz abstrakte Signale sind, die pulsiert und durch Algorithmen sequenziert werden. Zeitdauer und Ort des Erscheinens können somit variabel bestimmt werden. Der ganze klassische Apparat des Dispositivs, das ein Bild erzeugt, wird so in Frage gestellt.
Bleiben wir bei der Bilderzeugung: Beim Erfinder der fixierten Photographie Henry Fox Talbot schwankt die Einordnung des Bildgewinnungsprozesses zwischen invention und discovery. Sind Bilder als etwas Gebildetes mehr Erfindung oder mehr Entdeckung?
artist as diviner Ich würde aus meiner Erfahrung, als Praktiker wie als Theoretiker sagen, daß beides möglich ist. Eine klassischen Strategie der modernen Kunst ist zu finden. Picasso formulierte den berühmten Satz „ich erfinde nicht, sondern ich finde“. Der Künstler präsentiert sich hier als ein Wünschelrutengänger, der ein geschultes Auge hat und einen Reiz von alltäglichen Materialien aber auch afrikanischen Skulpturen spürt. In dem Sinne erfindet man nicht afrikanischen Skulpturen. Man erfindet auch nicht ein Ready made, sondern man findet den Reiz des Ready Made, indem man z.B. den ästhetischen Reiz des armseligen Materials entdeckt und aus den Plastiksäcken und Pappendeckeln eines Obdachlosen eine Skulptur macht. Ich kann aber andererseits auch wie die Surrealisten als Künstler behaupten: „Ich möchte Bilder erfinden“ .

Paik never invented pictures

oldfashioned ambition: metapyhsical responsibiltiy for the invention of images

Eine radikale, schwer zu verdauende Geste in der Medientheorie ist, daß Nam June Paik ähnlich wie Duchamp nie ein Bild erfunden hat. Der berühmteste Videobildkünstler der Welt - wobei ich nicht sagen möchte der Beste - hat nie ein Bild gemacht! Was das für ein Paradox ist: Paik verwendete immer nur industriell, schnell hergestellte Bilder des Fernsehens und ließ diese dann von seinen Systemen bearbeiten. Er hat also nie erfunden, sondern nur gefunden.

Es mag in einem altmodischen Ehrgeiz begründet liegen, daß ich selber mehr erfinde, indem ich ein Bild am Bildschirm mit viel Arbeit konstruiere. Ich gehe dabei immer noch von der alten metaphysischen Verantwortung aus, daß die Kunst etwas sein soll, was es noch nicht gibt. Wenn man so denkt, dann erfindet man Bilder. Wenn man hingegen denkt, daß die Kunst durchaus etwas sein kann, was es schon gibt, das Neue also nur die Art und Weise, wie etwas gesehen wird, ist, dann genügt das Finden.

Heute spricht man beim Bildherstellungsprozeß immer mehr von „imaging". Im Englischen wird zwischen „picture" und „image" als Begriffe für Bild unterschieden. Ersteres bezeichnet fixierte Bilder, ein „image" hat hingegen etwas Flüchtiges. Wie sehen Sie dieses Verhältnis?
image as metaphor for all visual phenomena Es zeigt meines Erachtens wie niedrig der Stand der Bildreflexion in Deutschland ist, daß solche Unterscheidungen noch nicht getroffen worden sind. Der angelsächsische Raum ist in der Bildtheorie wesentlich weiter, weil es auch solche notwendigen Differenzierungen trifft. Das Picture bezeichnet das klassisch gemachte Bild, das Image hingegen das technisch gestützte Bild. Image ist die Metapher für alles Visuelle bis hin zum cooperate image, bei dem man im engeren Sinne gar nicht einmal von Bild reden kann, als vielmehr von einer abstrakten Metapher, einer Vorstellung. Bei einem Image eines Unternehmens gibt es eben kein Bild vom Vorsitzenden oder der Fabrik. Diese im Angelsächsischen übliche begriffliche Unterscheidung zwischen mentalen und physischen Bildern ist notwendig, um in der Bildtheorie weiterzukommen..
Was haben Sie eigentlich für ein Gefühl im Umgang mit digitalen Bildern? Unterscheidet sich Ihr subjektives Empfinden zu bisherigen Umgangsformen mit Bildern?
problem of socialization: "the brain has to tell the eyes what to see; only by this I can enjoy digital images" Als jemand, der im Umgang mit vielen historischen Bildern sozialisiert worden ist, habe ich rein subjektiv, emotionell Schwierigkeiten mit digitalen Bildern. Bis zu meinem 18. Lebensjahr habe ich Bilder hauptsächlich als Bilder in Büchern, als Fernsehbilder oder Zeitungsbilder gesehen. Kunst lernte ich so weniger in Form von Originalen kennen, sondern meistens als von den Massenmedien gespeicherte Bilder von Gemälden. Die ästhetischen und sensorischen Reize digitaler Bilder kann ich nur durch eine vom Gehirn hervorgebrachte Prozessierungs- und Abstraktionsleistung genießen. Ich schalte dann nicht meine Augen ein, sondern mein Gehirn. Normalerweise zeigen die Augen dem Gehirn, was es zu sehen hat. Bei mir ist es genau umgekehrt. Das ist auf meine Defizit und Defekte meiner Sozialisation zurückzuführen. Ich stamme von einer anderen Generation, die eben mit Bildern der Malerei aufgewachsen ist. Wenn hingegen heute jemand vom Spielzeug angefangen mit Computerbildern aufwächst, hat diese Probleme nicht.
Sieht man numerisch basierten Bildern auf dem Bildschirm oder als Projektion deren immateriellen Grund an?
0% materiality:digital images as deontological phenomena





Luciano Fabro Sisyphus 1994

Ja. In der Entwicklung des Bildes gibt es ja nicht nur die Differenz zwischen Figuration und Abstraktion, sprich Körper, Figur und Antropologie usw. auf der eine Seite und abstrakte Farbcodes auf der anderen. Es gibt vielmehr den für mich noch viel schwerwiegenderen Konflikt zwischen Materialbild und immateriellem Bild. Ich bin wenig an der Debatte interessiert, ob in Deutschland die Expressionisten expressiv oder die wilden Maler figurativ malen und die anderen abstrakt malen – das scheint mir eine ziemlich ausgelaugte Begriffsopposition zu sein. Ich finde hingegen die Geschichte der Malerei als Materialbild, das mit der Schwere des Materials, mit Sand oder Beton, also mit der Physik des Material arbeitet, sehr interessant. Ich finde aber die Immaterialisierung, die mit den Medienbildern einhergeht, genauso interessant. Wenn ich digitale Bilder dupliziere, dann habe ich kein Material mehr, sprich Null als Negation des Materials. Ich beweg mich damit immer noch im materialistischen Denken: Die Materialität kann Null sein, dann ist das Bild immateriell, oder sie beträgt 100 Prozent, dann besteht das Bild wie bei Luciano Fabro nur aus flachen Marmorplatten, die er auf der Biennale in Venedig auf die Leinwand gefesselt hatte. Ich bin also an der Materialität sehr interessiert, sei es null Grad oder eben Marmor. Digitale Bilder erkennt man als reine Photonensequenzen an ihrer Immaterialität. Sie sind wenig irdisch und weniger "sense"-mäßig, sondern vielmehr virtuell und entontologisiert. Und jede Entontologisierung ist eigentlich künstlerisch. Sie befreit einen auch vom Naturzustand, indem sie diesen als Bild zu überwinden versucht, da es eben nur aus Licht besteht. Das macht die Bilder eigentlich schon sugestiv.
Können Sie sich vorstellen, daß Bilder eine immanente Logik besitzen, die sich nicht sprachlich, sondern lediglich bildlich formulieren läßt?
Im engeren Sinne von Sprache ist es meiner Meinung nach nicht möglich. Aber wenn man eine an und für sich unzulässige Metapher verwendet, daß Sprache alles das ist, was Code ist, dann ist dies klarer Weise möglich. Ein Signal kann durch eine Empfangsmaschine als Pixel auftauchen und auf der anderen Seite taucht es durch eine andere Decodierungsmaschine als Ton auf. Ein und das selbe Signal kann Töne oder abstrakte Bilder erzeugen. Also wenn ich von Signalen, von Codes spreche, ist es so, daß auch Bilder auch Text enthalten können.
Im IT-Bereich werden numerisch basierte Informationen, seien es Bild-, Text- oder andere Mediendaten unter dem Begriff "content" zusammengefasst. Wie betrachten Sie diese definitorische Gleichsetzung unterschiedlicher Medientypen als "Inhalt"?
"content" as a progessive attack of the communication industry against modernism Der Begriff stammt ja von den Massenmedien. Ich finde diesen eine sehr fortschrittliche Attacke der Industrie gegen den Modernismus. Der Modernismus hat ja ein Verdikt des Verbalen ausgesprochen. Denken Sie an die abstrakten Bildern von Rothko bis Jackson Pollock, da sieht man nur die Spuren der Farbe, die Spur der Gestik der Hand oder das Schütten der Farbe. Von Kandinsky angefangen bis zu Malewitsch sieht man nur reine Form, reine Farbe - also nichts Verbales, nichts Textuelles. Diese sakralen Elemente, die Museen in Kirchen verwandelten, wurde durch fortschrittliche Praktiken, wie schon die kubistischen Collagen mit Fahrscheinen und Zeitungsartikeln von Picasso in Frage gestellt. Die Entwürfe der Kommunikationsindustrie und der Informationstechnologie, die eine Art Hypermenü bilden, setzen im Grund die Tendenzen der Moderne fort.
Es gibt aber auch die schlechten Seite der Moderne. Ich kann mich noch erinnern wie ich in den Sechzigern Bilder nur aus Texten machen wollte. Es war sehr schwierig, so etwas in Wien in kleinen Mengen durchzusetzen. Keiner hat gekauft und keiner darüber berichtet, da keiner nur Texte als Bilder haben wollte. 10 Jahre lang habe ich hierfür keine Galerie gefunden. Diesem Druck bin ich dann erlegen und habe damit einfach aufgehört. Drum bin ich froh, daß heute im Alltag dieses Verdikt der Modernismus nun gebrochen wird. .
Die Bildelemente digitaler Bilder, die mit Pixel abgekürzten "Picture Elements", sind eigentlich nur Farbwerte denen bestimmte Koordinaten zugeordnet werden. An und für sich kann ein Pixel mit einem mathematischen Punkt gleichgesetzt werden. Wie können solche Bilder bemessen werden? Besitzen auf Pixeln basierende Bilder eine gewisse Größe?

De Chirico and nano technology: the problem of scale
Die Pixelfrage ist hochrelevant in der Weiterentwicklung des Bildes. Erstens ist es, wie Sie selbst genannt haben, eine Frage der Skalierung. Die Skalierungsfrage ist in der modernen Bildtheorie, aber auch in der Malerei ganz wichtig. Denken Sie nur an die Bilder von De Chirico, in denen die Skalierung nicht stimmt.

Die Moderne hat eigentlich in ihren Bildern die natürliche Skalierung schon aufgegeben. Das war die Folgerung dessen, daß die Sehapparate in Bereiche eindringen, die sich unserer natürlichen Skalierung entziehen: die Nanotechnologie dringt mit ihren Tunnelrasterelektronenmikroskope in Skalierungen auf der Ebene von Molekülen und Atome vor, die sich jeder Sichtbarkeit und Vorstellbarkeit entziehen.

Auf dem Bildschirm bestimmt die Abfolge der drei additiven Grundfarben Rot, Grün, Blau die Zusammensetzung des Bildes. Die Genetik bastelt durch die Zusammensetzung einer Sequenz von vier Nukleinsäuren lebenden Bilder als molekulare Biomaschinen. Die Vorgehensweise der Modelierungen sind strukturell ähnlich. Wo sehen Sie Unterschiede, wo sehen Sie Gemeinsamkeiten in dieser Beziehung?
"Images are a system like a biological organism." Die Gemeinsamkeit haben Sie wohl gerade richtig beschrieben, daß sie gesagt haben, daß manche Bilder vergleichbar mit biologischen Organismen sind. D.h. sie haben ein lebensähnliches Verhalten. Man muß sich nun fragen, was definiert lebensähnliches Verhalten. Meine Definition ist systemtheoretisch. Ein Bild ist ein System wie eine biologischer Organismus, sei es ein niedrigkomplexer Zellhaufen, etwas Komplexes wie eine Katze oder ein Semiautomat. Die Lebendigkeit zeichnet sich dadurch aus, daß Input und Output eines Systems, also Reizreaktionsmuster, nicht komplett determiniert sind.
Also die Unterscheidung zwischen trivialer und nichttrivialer Maschine.
a relative unpredictability defines a living system

Genau. Wenn ich einer schwarzen Katze auf den Schwanz trete, wird sie nicht weiß und sie verwandelt sich nicht in einen Löwen. Sie bleibt ein determiniertes System. Aber wenn ich ihr aber dreimal auf die exakt selbe Weise auf den Schwanz trete, weiß ich nicht, ob sie mich anspringt, davon läuft oder miaut. Wenn sich also der Output der Katze nicht vollständig voraussagen läßt, sprich die Voraussage nicht determiniert ist, dann gibt es gewisse Freihheitsgrade. Diese Art von relativer Nichtvorhersagbarkeit macht ein lebendiges System aus. Wenn wir nun Bilder als System haben, bei denen wir bei einem Input nicht den Output bestimmen können, dann haben wir ein lebensähnliches Verhalten. Ich glaube, daß wir diese Bilder schon haben.

Wir müßten z.B. mit zellulären Automaten oder dergleichen arbeiten...
...genau.
Wir kamen schon am Rande auf das Zusammenspiel Bild und Mathematik zu sprechen. Der Umgang mit nicht erfaßbaren und doch logischen Größen verleiht der Mathematik Kant zu Folge etwas Erhabenes. Besitzen mathematisch beeinflußte Bauwerke wie die Alhambra oder die Musik von Bach für Sie etwas Erhabenes und wie empfinden Sie die zugrunde liegende Mathematik ?

Keplers model of an orbit


Kurt Gödel

I feel close to a dark side of mathematics: there is an incompleteness, a open system.

Es gibt ja in der Neuzeit zwei Auffassungen der Mathematik. Die klassische haben Sie jetzt gerade beschrieben, die ein Gefühl der Erhabenheit und Schönheit durch Symmetrie und Proportionen erzeugt. Diese Mathematik, die vom griechischen Tempel bis hin zur arabischen Mathematik reicht, wird von uns durch eine numerische Sensibilität definiert, bei der sich Zahlenverhältnisse widerspiegeln. Wir kennen das auch von Kepler, der vom vollkommensten System spricht. Auch in Bildkompositionen drücken numerische Verhältnisse und digitale Proportionen bestimmte platonische Ideale aus.
Es gibt aber noch eine dunkle Seite von Mathematik, der ich näher stehe. Dieses mathematische System geht aus Entdeckungen des 19. und 20. Jahrhunderts hervor: der euklidischen und nicht-euklidische Geometrie oder der Chaostheorie. Wichtig sind dabei die Arbeiten von Gödel und Chaitin. Gödel postuliert ein mathematisch unentscheidbares System, da innerhalb des mathematischen Systems nicht alle Sätze formal richtig bewiesen werden können. Die Arithmetik hat entsprechende Ableitungsregeln, bei denen ich innerhalb dieses Systems aber nicht entscheiden kann, ob ein Satz nun wahr oder falsch ist. Daraus resultiert eine Art Unvollständigkeit - ein offenes System. Chaitin hat deshalb von Mathematik als einer zufälligen Struktur gesprochen, von der kontinuierlichen bis zur diskontinuierlichen, von der stetigen bis zur irrationalen Zahl. Diese nicht-klassische Mathematik mit ihren dunklen Punkten und Singularitäten interessiert mich mehr als die klassische. Ich glaube auch, daß sie näher an der Wirklichkeitsstruktur der Welt liegt.
Sehen Sie da einen Unterschied zwischen den numerischen Bildern, also digitalen, auf Algorithmen basierten Bildern und dieser klassischen geometrischen Ornamentalkunst, die eben noch mit Zirkel und Lineal gefertigt wurde?
Algorithmic images make extremely uncertain. Those probalistic images, distortions, singularities are very modern. Sicher sehe ich einen Unterschied. Ich denke diese klassischen mathematischen Bilder mit Zirkel und Perspektive beruhen auf Harmonie, auf Positivität. Digitale, algorithmische Bilder sind extrem verunsichernde Bilder. Solche probabilistischen Bilder, Störungen, Singularitäten finde ich modern und interessant für die heutige Gegenwart.
Die Kunstwerke, die solche mathematischen Strukturen abbilden, sind vornehmlich Medienkunstwerke- also digitale Kunstwerke -, weil sie imstande sind, solche numerischen Überlegungen zu visualisieren.
Lassen Sie uns nochmal zum Verhältnis von Bild und Sprache kommen: Begriffe stehen für etwas Allgemeines, mit Bildern hingegen bezeichnet man etwas Konkretes. Wenn ich einen Baum habe, so ordne ich diesen sprachlich in eine Gruppe von Bäumen ein; wenn ich ein Bild von einem Baum habe, habe ich immer einen konkreten Baum vor Augen. Wie verhalten sich Sprache und numerische Bilder zueinander unter der besonderen Berücksichtigung, daß digitale Bilder durch Textinformation kodiert und beschrieben werden?

Images are more related to the objects than language.

Ich möchte auf einern weiteren Konflikt hinweisen: In der Theorie der Zeichenklassen, in der Semiotiotik, zeichnen sich gerade die Symbole nach Index und nach Icon dadurch aus, daß zwischen dem Begriff und dem Gegenstand eine willkürliche Beziehung besteht. Wenn ich einen Hund zeichne, schaut das Bild vom Hund aus wie ein Hund. Auch wenn ich ein abstraktes Bild mache, spricht man immer noch von einer Darstellung eines Hunds. Sprachlich hingegen lautet er immer etwas Anderes, da ich einmal chien, einmal dog, einmal Hund sage. Die Sprache ist folglich ein willkürlicher und ein sehr beliebiger Code.
Ich schätze diesen offenen Code sehr. Der Turmbau zu Babel begründet zugleich den Ursprung sowie die Vielfalt der Sprache. Mit ihm ist ein Mythos als Warnung von der vorherrschenden Macht in Gang gesetzt worden: Du mußt an einen Gott glauben, an ein Volk, an eine Sprache. Und wehe, Du hast plötzlich viele Götter und viele Völker, dann versteht Ihr Euch nicht mehr und Euer ganzes System bricht zusammen. Aber gerade diese Willkürlichkeit, diese Admiralität der Beziehung zwischen Code und Gegenstand offenbart das eigentliche Wesen der Sprache. Zum Ursprung der Sprache gehört die daraus hervorgehende Vielfalt, d.h. die Offenheit des Codes. Jeder Kulturkreis entwickelt so automatisch andere Sprachen.
Zum Wesen des Codes gehört, daß ich jede Sprache transformieren und in einen anderen Code umstellen kann . Ich kann jedes Programm umschreiben, d.h. ein „rewriting“ vornehmen. Diese Umschreibformel ist das Wesentliche des Codes. Codieren heißt Umschreibprogramme anwenden. Bilder sind eindeutig mit dem Gegenstand mehr verhaftet als die Sprache. Die Sprache hat deshalb eine gewisse Superiorität. Es wäre demnach absurd, wenn wir als Künstler auf diese Möglichkeiten der Sprache und des Codes verzichteten. Das Beste, was wir anstreben können, ist Hypermedialität oder Hypertextualität, wenn wir Sprachelemente, Tonelemente und Textelemente verwenden.
Oder wir schauen uns die Schnittstelle an, das Interface, den Digital- Analogwandler, wo ein artikulierter Code in etwas Dichtes umsetzt wird. Um ein Beispiel für dieses Verhältnis digital/analog aus der Musik zu verwenden: Eine Notation kann in Form einer Partitur in eine musikalische Ausführung umgesetzt werden - da schwingt nun Nelson Goodman ein wenig mit. Die Fülle und die Dichte der musikalischen Realisation steht jedoch im Kontrast zu den wenigen schwarzen Punkten und Linien auf dem Notenblatt. Worüber wir jetzt nicht gesprochen haben, ist, woher denn jetzt diese Fülle herkommt?

a poor code: the alphabet

transcoding is the essence of a code
Hier findet sozusagen eine Transcodierung statt: Auf der einen Seite habe ich ein Notenblatt mit wenig sensorischen Reizen und auf der anderen ein Konzert mit viel mehr sensorischen Reizen. Das Wunder des Codes ist ja, daß ein armer Code ein reicher Code werden kann, wenn transcodiert wird. Mitunter macht man sich falsche Vorstellungen vom Code. Wie reich ist z.B. die Sprache und wie arm das Alphabet mit nur 26 Buchstaben. Mit diesem ganz armseligen Code wird ein Reichtum von Millionen an wunderbaren Büchern gemacht. Das Umschreibprogramm, das das Wesentliche eines Codes ist, macht diese kommunikatorischen Möglichkeiten möglich.
Mir bleiben zwei Fragen, eine zur Wissenschaft und eine zur Kunst. Bei der Wissenschaft interessiert mich der bildliche Aufnahmeprozess. Wenn er jetzt digital geschieht, werden die Bilder als Daten aufgezeichnet. Wie unterscheiden sich eigentlich noch die Bildaufnahme und die Messung als Erfassung von Daten und voneinander?
images as an epistemic field to visualize complexity Der allgemeine Trend geht dahin, weniger die Unterscheidung zwischen Daten und Bildern zu treffen, sondern Methoden zu entwickeln, möglichst einfach und möglichst schnell Daten erfassen und diese zu Bildern zu konfigurieren. Das Ziel ist also, Daten in Bilder zu verwandeln - Bilder als ein epistemisches Feld, aus dem ich etwas lernen kann, was ich aus Daten nicht lernen kann. Diese Bilder dienen dazu, eine Komplexität zu visualisieren.
Auch zu reduzieren ?
... und dadurch auch zu reduzieren.
Man beobachtet aber speziell in den Naturwissenschaften auch, daß man fast nur noch mit Daten und Graphen arbeitet, es also im engeren Sinne fast überhaupt keine Bilder gibt.
The images are not used anymore to understand the world, but to comprehend the data. Wenn man mit Daten umgehen kann, ist es sicherlich vernünftiger. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen man einfach Bilder machen muß, damit man die Daten versteht. Das Witzige ist: Die Bilder dienen nicht mehr dazu, die Welt zu verstehen, sondern die Bilder dienen dazu, die Daten zu verstehen. Das ist ein entscheidender Wechsel.
Wir haben eigentlich jetzt sehr zeichentheoretisch über Bilder gesprochen. Wenn Bilder jetzt aber abstrakt werden und sie zeichentheoretisch nicht mehr erfaßt werden können, dann bekommen sie sehr musikalische Züge. Wie sehen Sie das Verhältnis von Bild und Musik?

There is an anthropologically founded affinity between seeing and hearing.

Das statische Bild der Malerei kommt ohne Ton daher. Das bewegte Bild erscheint hingegen nie alleine, d.h. es kommt immer mit einer Tonspur. Der Stummfilm ist deswegen abgeschafft worden, da man keine bewegten, monotonen Bilder haben wollte - sozusagen eine physiologische Bedingung des bewegten Bildes. Umgekehrt sieht man bei MTV, daß auch die Leute in diesem synästhetischen Impuls Musik haben möchte, nur mehr mit Bildern, seien sie nun abstrakt oder figürlich. Es gibt also eine anthropologisch fundierte enge Verwandtschaft zwischen Bild und Ton, die ich einfach als Physik des Signalcharakters definiere. Mit ein und demselben Signal kann man ein Bild oder einen Ton erzeugen, d.h. das Sehen von Tönen und das Hören von Bildern ist anthropologisch in eine physiologische Struktur eingebaut. Je mehr wir dem Ziel näher kommen, je mehr erregt das unsere konzeptuelle Aufmerksamkeit.
interview by Tim Otto Roth from 15 September 2003 at ZKM Karlsruhe, reedited in spring 2007
Links for Peter Weibel:
Prof. Peter Weibel/director of the Center for Art and Media ZKM Karlsruhe 
Iconoclash
“Gedankenaustellung” the “Weibelian tradition” (Latour about Weibel)
medienkunstnetz.de (biography)
Ars Ombra - Peter Weibel about the photogram at a symposium at ZKM Karlsruhe

Publications:

(with Bruno Latour)